Engel zu Gast im Allianz Zentrum für Technik

Dreimal im Jahr kümmern sich Erwachsene einen ganzen Tag lang um je ein Heimkind und machen gemeinsam Ausflüge. Dieses Mal kamen sie zum Engeltag ins Allianz Zentrum für Technik

Mit großen Augen starrt Kevin auf die Reste des roten VW Up, die im Foyer des Allianz Zentrum für Technik (AZT) in Ismaning stehen: Vom Vorderteil ist nur noch der deformierte Motorblock zu sehen. Eine Motorhaube, eine Stoßstange oder einen Kühlergrill gibt es nicht mehr. Zudem ist das Glas der Frontscheibe zersplittert. Wie wenig von dem schönen Auto übrig ist, beeindruckt den siebenjährigen Jungen. Denn in einem Film hat er kurz vorher im Hörsaal des AZT gesehen, was mit dem roten VW in Sekundenbruchteilen geschehen ist: Mit einer Geschwindigkeit von 64 km/h raste der Wagen bei einem Crashtest auf ein Hindernis zu und wurde zerstört. Dabei öffnete sich ein Stoffairbag und schützte den Dummy hinterm Steuer vor der Wucht des Aufpralls.

Neugierig betastet der siebenjährige Junge den Airbag, der jetzt ganz ohne Luft lose vom Lenkrad herunterhängt. Kevin kann kaum glauben, dass dieser Stofffetzen den Dummy vor einem Flug durch die Frontscheibe bewahrt hat. „Toll, was ein Airbag kann!“, stellt der blonde Junge mit der grauen Baseballkappe fest. Die hat er sich verkehrt herum aufgesetzt: Das passt zu dem aufgeweckten Buben mit dem Lausbubengesicht, der in den Hallen des AZT neugierig alles anfasst und überall herumklettert – ob auf einer eingefahrenen Hebebühne oder in einem schwarzen Audi, den die Mitarbeiter des AZT nach einem Crashtest gerade erst wieder zusammengebaut haben.

Am Engeltag dürfen die Kinder im AZT alles ausprobieren: auch mit dem Lenkrad eines Audi A4 spielen
Am Engeltag dürfen die Kinder im AZT alles ausprobieren: auch mit dem Lenkrad eines Audi A4 spielen

Kotflügel aus Karbon anfassen, Crashtest-Dummys hochheben oder einfach kräftig auf die Hupe eines Smarts drücken – all das dürfen Kevin und die 35 anderen Kinder heute. Denn an diesem Samstag Ende Juli führt sie der Hausherr Dr. Christoph Lauterwasser durch die Werkstatt, das Farblabor und die Crashbahn im Keller. „Wir wollen den Kindern hier eine schöne Zeit ermöglichen“, sagt der AZT-Geschäftsführer. Denn die Mädchen und Jungen zwischen 5 und 17 Jahren haben es nicht leicht: Ganz ohne Eltern leben sie in verschiedenen Kinderheimen – so wie Kevin im Marienheim Baschenegg bei Augsburg. Dort gibt es natürlich Pädagogen, aber gerade an Wochenenden müssen sich ganz viele Kinder wenige Betreuer teilen. Einen Erwachsenen ganz für sich allein haben sie dort nicht. Nicht einmal für ein paar Stunden.

Genau deshalb findet dreimal im Jahr im Raum München der Engeltag statt – schon seit fast zwölf Jahren: Um jedes Heimkind kümmert sich dann ein Erwachsener als persönlicher Engel. Das ist es, was die Kinder am meisten schätzen. „Mir gefällt am besten, dass ich dann jemanden habe, der nur für mich da ist“, sagt Kevin. Mal gehen sie alle zusammen in den Zoo, mal auf einen Spielplatz. Dieses Mal sind sie im AZT zu Gast – und Engel Christoph Gebel ist dabei. Der große, 37-jährige Mann ist unter der Woche im Produktmarketing eines Telekommunikationsunternehmens tätig, doch heute widmet er seine Zeit einzig und allein Kevin. Das heißt an diesem Tag auch, dass er eine Brotzeitbox, eine DVD mit den Crashtests und eine Safttüte hinter dem Jungen herträgt. „Ich will etwas Gutes für diese Kinder tun“, sagt Gebel. „Was gibt es Besseres, als mehrmals im Jahr Zeit mit ihnen zu verbringen? So kann man eine Beziehung zu ihnen aufbauen.“ Manche Kinder und Erwachsene kennen sich schon seit Jahren. Ein Engel wurde sogar zur Patentante ihres Heimkindes. So weit sind Kevin und Christoph Gebel noch nicht: Denn heute ist Gebels  zum ersten Mal dabei. Erst vor kurzem hat er sich bei der Stiftung „gutetat.de“ gemeldet, die gemeinsam mit der Initiative „Engel für einen Tag“ die Treffen mit den Heimkindern ausrichtet. So wurde er zu einem der vielen Engel, die aus den unterschiedlichsten Altersgruppen kommen und die verschiedensten Berufe haben.

Justin (r.) und Christoph Gebel haben sich erst im AZT kennengelernt, verstehen sich aber trotzdem prächtig

Seit einem Jahr ist auch Franziska Hammersen ein Engel. Die 22-Jährige arbeitet bei der Allianz im Bereich Vermögensschaden-Haftpflicht. Mittlerweile ist die rothaarige Frau in ihrer Freizeit aber auch im Orga-Team der Initiative tätig und plant die Engeltage: So fragte sie auch bei Dr. Lauterwasser und dem AZT nach, ob dort die Kinder und ihre Engel zu Gast sein dürfen – und erhielt prompt die Zusage. Deshalb folgt die Gruppe an diesem Julisamstag dem Hausherrn durch die Hallen des AZT und lacht, wenn Lauterwasser kindgerecht erklärt: „Wir machen hier Autos kaputt, damit sie in Zukunft länger halten.“

Franziska Hammersens Hand hält die fünfjährige Luisa. Wie ihr Engel hat auch das Mädchen, das im Caritas Kinderdorf Irschenberg wohnt und jetzt mit ihr auf einem Motorrad in der Werkzeughalle sitzt, rote Haare. „Wir passen schon gut zusammen, gell?“, sagt Hammersen. Luisa nickt heftig und schmiegt sich an sie. Überhaupt kuschelt sich das Mädchen oft an ihren Engel – und der streichelt sie. Anders als Kevin spricht Luisa wenig und ist schüchtern. Sie tollt auch nicht durch das AZT, sondern genießt die Nähe und Wärme, die ihr Franziska Hammersen heute gibt. Die beiden kennen sich schon seit der letzten Veranstaltung im April, als sie einen Indoorspielplatz in München besuchten. „Luisa kam einfach auf mich zu“, erinnert sich Hammersen. „Es sind die Kinder, die sich ihre Betreuer aussuchen.“ Luisa strahlt und sagt dann ganz langsam: „Du bist mein Engel!“